BEIM VATER DER TÜRKEN AM GRAB
Die Türkei ist so vielseitig, abwechslungsreich und gegensätzlich, dass es mir immer noch Mühe bereitet, sie als Ganzes wahrzunehmen. Fast unglaublich, wie Attatürk das alles in die enge Form des türkischen Nationalstaates pressen konnte.
Attatürk war definitiv kein Mann des Zauderns oder Haderns. Vielleicht gerade deswegen wird er in der Türkei verehrt wie ein kleiner Gott. Statuen stehen fast in jeder Stadt und Poster hängen in Bäckereien, Werkstätten und Privathäusern.
Doch der Attatürk Kult ist nirgends eindrucksvoller als in seinem Mausoleum. Ein Garten, ein Museum, verschiedene Konferenzräume und das eigentliche Mausoleum bilden zusammen einen riesigen Komplex. Am Kult wird auch Jahrzehnte nach dem Tod des Gründungsvaters immer noch gebastelt. Regierungsdelegationen aus aller Welt legen bei ihren Besuchen in Ankara feierlich frische Blumen ans Grab. Unsere Doris war auch dort, die Fotos von ihr und den Blumen kann man auf einem Screen im Museum anschauen. Im kilometerlangen Museum werden auch all die heroischen Taten von Mustafa Kemal Attatürk gepriesen. als Kriegsherr hat er nach dem ersten Weltkrieg die Alliierten besiegt und die Griechen aus Anatolien verjagt. Als Präsident hat er Reformen mit einer solchen Vehemenz durchgesetzt, dass sie in ihrer Radikalität einer kulturellen Revolution gleich kommen. So hat der Vater aller Türken seinen Schäfchen eine neue Kleiderordnung, eine neue Schrift und einen neuen Umgang mit der Religion auferlegt. Unglaublich sind die „Vorher-Nachher“ Bilder. Vor der attatürkischen Kleiderordnung tragen die Osmanen Bärte, Turbane, Fez und lustige orientalische Kleider. Danach sehen die gleichen Osmanen, die jetzt Türken sind, mit Schnauz, Anzug, Krawatte, Lackschuhen und Hut aus wie verkleidet. Innerhalb von drei Monaten stellte Attatürk von den arabischen Schriftzeichen auf die lateinischen um. Alle die osmanischen Gelehrten und Kalligrafen waren mit einem Schlag türkische Analphabeten. Auch das Kalifat musste weichen, die Religion wurde von da an durch den Staat kontrolliert und nicht umgekehrt. Das ist der informative Teil des Museums. Es geht aber noch endlos weiter, die verschiedenen Kugelschreiber, Kleider, Bücher, das Rudergerät und die Toilettenartikel samt Rasierwasser wurden konserviert. Attatürks ausgestopfter Lieblingshund Fox ist schwarz weiss gefleckt, sein Panzer grün, eines der Autos weiss.
Im Mausoleum selber, das mit seinen riesigen Säulen an einen Tempel erinnert, polieren Herren in Anzügen den Marmorboden. Den Sarg von Attatürk sucht man allerdings vergeblich, nur zu einem Altar darf man beten. Die Gebeine Attatürks liegen in einer Kammer unter dem Mausoleum. Eine Kamera sendet live aus der Kammer, die Auferstehung verpasst man damit auf keinen Fall.
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