RUBY'S RESORT
Er war sicher mal stattlich, doch das ist lange her und jetzt wischt er mit seinem schwabbligen schwarzen Bauch beim Gehen beinahe den Boden. Bereits nach einigen Metern am Strand rennen hinkt er und legt sich ausgepumpt in den Schatten. Dass er sieben Kilo abgenommen haben soll, kann ich nicht glauben. Fetter geht ja nun wirklich nicht. Stoudt ist zwar das Familienoberhaupt, wird aber von niemandem ernst genommen.
Seine blonde Princess ist die gute Seele der Familie, immer eifrig um gute Stimmung bemüht. Sie hat meistens etwas im Mund. Ihre ungehobelte Art ist sicher keine böse Absicht, trotzdem nervt es, dass sie mir dauernd auf die Füsse steht, mich beim Vorbeigehen kratzt und sich andauernd vordrängen muss.
Die beiden kleinen Mädchen sind permanent unterwegs. Wüsste ichs nicht besser, würde ich die beiden für Junkies halten. Immer unter Strom und auf Achse. Trifft man sich zufällig am Strand, sind sie sehr misstrauisch, wirken paranoid. Nicht selten haben die beiden Streit untereinander. Dann wird gekratzt und gebissen bis die kleinere der beiden blutet.
Die Jungs sind Langeweiler. Beni ist das schwarze Schaf der Familie. Immer unfreundlich, immer aggressiv. Damit überspielt er seine Unsicherheit. Übergewichtig mit Wackelarsch, ist er ein richtiges Muttersöhnchen. Nicht mal Schwimmen kann er. Bobby hingegen hat immer ein Lächeln auf den Lippen. Er gibt gerne den freundlichen Unauffälligen. Ich trau ihm aber nicht über den Weg. Seine hinterhältigen Augen und die Körperhaltung sprechen eine dunkle, unheimliche Sprache.
Die Familie ist als Ganzes ein bunter chaotischer Haufen, irgendwie sympathisch.
Aber die Wochenendgäste sind so richtig übel. Viele wohnen in Kuala Lumpur und kommen für ein paar Tage an die Ostküste. Die meisten bilden sich was ein auf ihre edle Herkunft. Aber eigentlich sind sie nur strohdumm und stinkfrech. Gehen mal kurz ins Meer um Mami und Papi eine Freude zu machen, aber nur höchstens bis zum Bauch und mit Schwimmweste. Zu den anderen Strandbesuchern sind sie unfreundlich bis bösartig.
Seit Ruby ihr Resort vor sechs Jahren an der malayischen Ostküste eröffnet hat, ist ihre Familie um einige Mitglieder angewachsen. Zu ihren beiden Lieblingen, dem Labrador Stoudt und der Goldenretriever Hündin Princess sind die Streuner Bobby, Beni und die immer noch halbwilden Hündinnen Patches und Baby hinzugekommen. Zusammen mit ihnen leben sechzehn Katzen im Resort. Rubys Pension ist das einzige Hotel in Malaysia in dem Hunde explizit erlaubt oder gar erwünscht sind. Das lockt spezielles Klientel aus Kuala Lumpur an. Reiche Chinesen, die ihre verzogenen reinrassigen Gören in pinken Kinderwagen durch die Gegend karren. Die Tages-Hauptbeschäftigung der Herrchen und Frauchen besteht darin, ihren verwöhnten Balg in bunte T-Shirts zu zwängen oder mit Schleifen zu dekorieren. Gefühlte Hundertmal rennen sie ins Meer und versuchen ihren Liebling auch ins Wasser zu locken. Andere werfen Bälle und Stöcke, die sie dann meistens selber wieder holen. Warum müssen diese Hunde alle ins Wasser? Nur damit sie nachher shampooniert und neu frisiert werden können. Auf dem Weg zur Toilette werde ich regelmässig von etwas kleinem haarigem ohne Beine aber mit aggressiver Piepstimme angefallen. Als ob das alles nicht genug wäre, pisst uns eine dieser hässlichen Kampfhunddamen auf die Matte und jagt unser Dschungelbüsi auf den Baum.
FRÜHSTÜCK BEIM IMAM
„Weil hier manchmal Marihuana geraucht wird“, führt uns die Frau aus Sicherheitsgründen vom Parkplatz der Moschee weg. Wir könnten vor ihrem Haus schlafen, schlägt sie vor. Zu diesem Zeitpunkt wissen wir noch nicht, dass sie die Frau des Imams ist und ihr Haus nur ein paar Meter von der Moschee entfernt liegt.
Der Auftritt des Imams in der Dunkelheit ist unheimlich. Sein Gesicht verbirgt sich im Schatten der Nacht und ich kann nur seinen dunklen, beim Sprechen wippenden Bart erkennen. Die weisse Kutte und seine kratzige Stimme umgeben ihn mit einer anmutigen, geheimnisvollen Aura.
Jetzt am Morgen sitzt er uns am Boden in Hemd und Hose gegenüber, das Unheimliche vom Vorabend hat der Imam mit seinem schelmischen Schmunzeln verjagt. Etwas müde sieht er aus, doch das ist auch kein Wunder, denn zu viel Schlaf kommt er nicht in letzter Zeit. Schliesslich war er heute früh nicht nur zum Morgengebet in der Moschee, sondern hat auch noch mitten in der Nacht die Deutschen im Viertelfinal gegen die Griechen siegen gesehen.
Zusammen mit seinem Cousin, dem Muezzin, leitet der Imam die Moschee in dem kleinen Dorf nahe der thailändischen Grenze. „I’m the owner of the Mosque!“, ob das so wohl stimmt? Wir essen blauen Reis und getrockneten Fisch. Die Kinder fotografieren uns beim Essen. „Für Facebook“ erklärt der Imam. Er, seine Frau und die Kinder hätten alle ihr eigenes Profil. Neun Kinder hat er bereits mit seiner Frau gezeugt, nur noch zwei fehlen bis zum persönlich gesteckten Ziel von elf, der kompletten Fussballmannschaft. Neben Fussball interessiert sich der Imam auch für Tennis. Roger Federer sei sein grosses Idol, stundenlang könne er ihm beim Spielen zusehen.
Während des Desserts testet der Imam unser Arabisch. Er selber war noch nie in Medina und Mekka, stehe aber auf der Warteliste. Der Andrang in Malaysia für die Pilgerreise sei so gross, dass er erst in zehn Jahren zu seiner Hadj antreten könne. Das trifft sich gut: Im Jahr 2022 findet auf der arabischen Halbinsel in Qatar die Fussball-WM statt. Mashallah, das kann kein Zufall sein!
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